Nürnberger Nachrichten, 29. Januar 2025, Seite 3
Politisches Gezerre um einen Aufsteiger
Parteien | Soll die AfD nun verboten werden oder nicht? Ein SPD- und ein CSU-Parlamentarier aus der Region begründen ihre Position im Interview.
Von Harald Baumer
BERLIN/NÜRNBERG – Diese Woche wird sich der Deutsche Bundestag vermutlich mit dem AfD-Verbotsverfahren befassen. Wir haben zwei Parlamentarier aus dem Großraum interviewt, einen Befürworter und einen Gegner des fraktionsübergreifenden Antrags. Den Anfang macht Jan Plobner, SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Roth.
Herr Plobner, Die AfD liegt in Umfragen bei etwa 20 Prozent. Kann man denn eine Partei mit so viel Rückhalt in der Bevölkerung überhaupt noch verbieten?
Plobner: Das Argument „zu groß zum Verbieten“ zählt für mich nicht. Im Gegenteil, gerade im enormen Wachstum der Partei besteht ja eine erhebliche Gefahr. Und schließlich hat auch das Bundesverfassungsgericht beim NPD-Urteil bestätigt, dass eine gewisse Größe erforderlich ist, um ein Verbot zu rechtfertigten. Damals hieß es ja, die NPD sei zu klein und zu unbedeutend.
Warum setzen Sie auf ein Verbot und nicht auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Partei?
Plobner: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir setzen uns im Bundestag, aber auch sonst überall, laufend mit der AfD auseinander. Ich bin aber trotzdem für ein Verbot, weil ich mir massive Sorgen um unsere politische Kultur mache. Mit ihren völkischen Vorstellungen vergiftet die AfD das Klima in Deutschland und tritt klar verfassungswidrig auf.
130 Abgeordnete stehen hinter einem Verbotsverfahren. Das ist noch weit von einer parlamentarischen Mehrheit entfernt.
Plobner: Die zurückliegenden Monate haben unserem Antrag ein ständiges Wachstum beschert. Wir haben mit 37 Personen beim Gruppenantrag angefangen, dann waren es bald über 50 und nun sind es schon fast drei Mal so viele. Ich kann mir gut vorstellen, dass es so weiter geht. Immerhin finden sich unsere Unterstützer in allen demokratischen Fraktionen des Parlaments. Solch eine breite Zustimmung über die Grenzen der politischen Lager hinaus gibt es ja auch nicht alle Tage bei Anträgen.
Prominente Unterstützer fehlen Ihnen fast vollständig. Wie wollen Sie denn so etwas durchsetzen, wenn keiner der Partei- und Fraktionsvorsitzenden offiziell dahinter steht?
Plobner: Ich verstehe es, dass sie sich zum jetzigen Zeitpunkt noch zurückhalten. Da müssen eben jene vorausgehen, die nicht so viel zu verlieren haben. Wenn sich ein Erfolg unseres Anliegens abzeichnet, kommen sicher auch die Promis dazu.
Im Gegensatz zum NPD-Verbotsverfahren würde nur ein Verfassungsorgan klagen – der Bundestag, nicht aber Regierung und Bundesrat. Ist das nicht zu wenig?
Plobner: Jedes einzelne Verfassungsorgan muss für sich entscheiden, ob es sich beteiligt. Es würde mich freuen, wenn sich die anderen beiden anschließen. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass sie das noch tun. Immerhin haben 17 Verfassungsrechtler in einer Stellungnahme für den Bundestag die Erfolgsaussichten als hoch eingeschätzt.
Was geschähe, wenn ein Verbotsverfahren scheitert? Wäre das nicht ein Triumph für die AfD?
Plobner: Stimmt, das wäre das schlimmstmögliche Szenario. Allerdings könnte man zusätzlich Hilfsanträge stellen, die etwa eine Streichung der finanziellen Unterstützung oder das Verbot bestimmter Landesverbände betreffen. Dann hätten wir einen nicht unwesentlichen Teilerfolg erreicht. Im Falle der NPD war es ja so, dass der Nachfolgepartei „Die Heimat“ vom Verfassungsgericht die staatliche Finanzierung gestrichen wurde.
Welche Reaktionen erhalten Sie im Wahlkreis zum Thema AfD-Verbot?
Plobner: Durchweg positiv Reaktionen. Meinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern geht es wie mir selbst, sie wollen einfach nicht länger zuschauen, wie sich eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei in unserem Land breitmacht.
Michael Frieser (CSU) sieht einen Verbotsantrag mit großer Skepsis. Der Fraktionsjustiziar gab uns folgende Antworten:
Herr Frieser, es gibt nur ganz wenige Unterstützer des AfD-Verbotsantrags in der Unionsfraktion. Sie selbst zählen nicht dazu. Warum nicht?
Frieser: Ich sehe zum jetzigen Zeitpunkt keine ausreichende rechtliche Grundlage für ein erfolgreiches Verbotsverfahren gegen die AfD. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sehr hohe Hürden erfüllt sein, um eine Partei verbieten zu können. Es ist nicht ausreichend, wenn die Partei die obersten Grundsätze der Demokratie lediglich ablehnt. Sie muss diese vielmehr verwerfen und gegen sie und die bestehende Ordnung in einer aktiv kämpferischen und aggressiven Haltung vorgehen.
Die Befürworter behaupten, es gebe viele klare Beweise für die Verfassungswidrigkeit der AfD. Könnte man diese nicht einfach sammeln und in Karlsruhe vorlegen?
Frieser: Der Bundestag verfügt über keine eigenständige Möglichkeit, zu belastbaren Anhaltspunkten zu gelangen. Erkenntnisse über die Verfassungsfeindlichkeit der AfD können nur die Landesverfassungsschutzämter oder die Bundesinnenministerin liefern. Das ist auch der Grund, warum die NPD Verfahren vom Bundesrat eingeleitet wurden und nicht allein vom Bundestag.
Der Verfassungsschutz müsste doch in der Lage sein, im Auftrag des Bundestags belastendes Material zu sammeln?
Frieser: Ein zentrales Problem, woran auch schon das erste NPD-Verbotsverfahren gescheitert ist, ist die Frage der sogenannten Staatsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass der Staat keinerlei Einfluss auf die Beweissammlung ausübt, um die Integrität des Verfahrens zu wahren. Der Verfassungsschutz muss eine unabhängige Tatsachengrundlage bereitstellen,
die zudem nicht durch V-Leute gewonnen werden darf. Das kann der Bundestag selbst nicht gewährleisten, da er weder auf den Bundesverfassungsschutz noch auf die Landesverfassungsschutzbehörden unmittelbaren Einfluss hat.
Warum sollte man nicht zumindest versuchen, ein Verbot durchzusetzen?
Frieser: Ein Verbotsverfahren könnte politisch kontraproduktiv sein. Das letzte NPD-Verbotsverfahren nahm über vier Jahre in Anspruch. Die AfD hätte während des laufenden Verfahrens also viel Zeit, um ihr Opfernarrativ zu stärken. Es wäre Wasser auf die Mühlen der AfD-Erzählungen, dass man sie aus dem politischen Wettbewerb entfernen wolle, weil sie bei der offenen Auseinandersetzung bei Wahlen und in den Parlamenten erfolgreich seien. Zu bedenken ist auch, dass ein gescheiterter Antrag der AfD de facto das Gütesiegel geben würde, eine verfassungskonforme Partei zu sein. Das wäre ein großes Risiko.
Wie wollen Sie stattdessen gegen die AfD vorgehen?
Frieser: Sie muss politisch und inhaltlich bekämpft werden. Die Probleme, die zur Zustimmung der AfD führen, liegen oft in sozialen und wirtschaftlichen Missständen. Diese Probleme müssen wir lösen, statt die Symptome zu bekämpfen.
Glauben Sie, dass die politische Auseinandersetzung mit der AfD ausreichend ist?
Frieser: Die Zustimmung zur AfD ist oft Ausdruck von Unzufriedenheit und Verunsicherung. Wir müssen diese Menschen ernst nehmen und ihre Sorgen angehen. Das bedeutet, Politik für die Mitte der Gesellschaft zu machen, die echte Lösungen bietet. Ein Parteiverbot löst keine gesellschaftlichen Probleme; eine solide und verantwortungsvolle Politik hingegen schon.