Frage & Antwort: Assistierter Suizid
Die Rechtsprechung hat sich fundamental verändert. Die Sterbehilfe-Organisationen werden immer aktiver, Vereine, Verbände, auch Einzelpersonen. Da spielen Namen wie Kusch, Arnold, Dignitas, etc. eine große Rolle. Es gab weitgehende Änderungen in den Beneluxstaaten, insbesondere in Belgien, bis hin zum Verlangen nach Suizidbeihilfe bei Minderjährigen und die Schweiz praktiziert aktive Sterbehilfe seit Jahren. In der deutschen Rechtsprechung wurde eine Position aufgeweicht, die wir eigentlich gesetzlich abgesichert hatten: Die Selbsttötung ist zwar straffrei, und infolge dessen ist es auch die Beihilfe dazu, nur solange sie aber eine passive Rolle einnimmt. Also rein unterstützend, soweit man keine Tatherrschaft übernimmt. Inzwischen geht man aber wesentlich weiter und sagt, dass auch eine fast aktive Sterbehilfe durchaus von der Rechtsprechung gedeckt ist.
Was genau ist mit einer „fast aktiven“ Sterbehilfe gemeint?
Denken wir einmal an schmerzlindernde Maßnahmen bei der Palliativmedizin. Ein Arzt, der Schmerzen bis zu einem sehr hohen Grad versucht zu lindern, der nimmt es dabei billigend in Kauf, dass infolge dieser Maßnahmen das Leben seines Patienten vorzeitig enden kann. Das ist eine Position, die man in Deutschland mittlerweile akzeptiert, bis hin zum aktiven Eingreifen: Der Patient, der an lebenserhaltende Maßnahmen angeschlossen ist, der kann durch aktives Unterbrechen dieser Maßnahmen „vorzeitig“ dem Tod ein Stück näher gebracht werden. Diese Positionen haben sich stark verändert, sowohl auf dem gesellschaftlichen und vereinsrechtlichen Gebiet als auch in der Rechtsprechung. Um nicht falsch verstanden zu werden, diese wichtigen, medizinischen Einzelfälle sollen und müssen weiterhin möglich bleiben.
Welche Probleme gibt es und wo liegen die Herausforderungen?
Nicht die wenigen, existenziellen Einzelfälle, die tief ins persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patient reichen, sind unsere Herausforderung, sondern Vereine, die sich in Deutschland ausbreiten und Menschen – oft mit mangelnder Beratung zum Leben hin – den leichten Weg zum Tod versprechen. Das Verbot des geschäftsmäßigen Handels mit dem Sterben ist die zentrale Forderung in unserem Positionspapier, das von einem Großteil der Unionsfraktion unterstützt wird. Unter Strafe gestellt werden soll das Schaffen von Strukturen und Organisationsformen, die Suizidbeihilfe geschäftsmäßig betreiben. Wo die passive Hilfe in eine aktive Tätigkeit übergeht, in der Absicht den Tod herbeizuführen, und dies in einer Mehrheit von Fällen anbietet, müssen wir einschreiten.
Ist ein Verbot von Sterbehilfevereinen, die keine finanziellen Absichten haben, also auch notwendig?
Ja. Die müssen nicht vorliegen. Wenn man sich allerdings die Organisation Kusch anschaut: Die nimmt kein Geld, aber sie nimmt Mitgliedsbeiträge. Und wer weniger zahlt, der wartet eben, und wer mehr zahlt, der ist gleich dran. Man kann viele Wege finden, um dieses vorgeblich mitleidige, selbstlose Tun in eine aktive und vielleicht sogar gewerbsmäßige Form zu überführen. Es gibt leider keine andere Möglichkeit, als dies über das Strafrecht zu regeln. Das ist einer der Unterschiede zu anderen Positionspapieren. Auch die lehnen Organisationen ab, sie wollen die Suizidbeihilfe aber nicht über das Strafrecht regeln, sondern vereinsrechtlich. Und sie wollen mit einem Katalog von Voraussetzungen eine ärztliche Suizidbeihilfe legitimieren. Zu den Voraussetzungen gehört, dass eine unheilbare Krankheit vorliegt, die in absehbarer Zeit zum Tode führt. Der Sterbewillige darf aber keine psychischen Defekte oder Depressionen haben.
Ist eine genaue Definition und Überprüfung solcher Kriterien nicht sehr schwierig?
Das ist genau mein Punkt. Wie soll denn das in der Praxis aussehen? Wie viele Gutachten bräuchte ich, um zu zeigen, dass jemand wirklich frei von psychischer Belastung ist? Bei einer tödlichen Krankheit wird schon alleine die Nachricht darüber die Psyche beeinträchtigen. Alleine die Voraussetzungen machen es schon sehr, sehr schwer. Und gerade die ganz überwiegende Mehrheit der Ärzte – wie auch die Bundesärztekammer – will unter keinen Umständen eine solche „Lex Ärzte“, also ein Gesetz mit einer nur für die Ärzte geregelten Form der Suizidbeihilfe. Das verträgt sich überhaupt nicht mit dem hippokratischen Eid. Stellen Sie sich bitte vor, wir bräuchten hier eine eigene Gebührenziffer für Suizidbeihilfe – undenkbar.
Besteht die Angst vor Rechtsunsicherheit bei Ärzten?
Deshalb hat es ein Jahr gedauert, bis wir so weit gekommen sind. Es gab sehr viele, stundenlange, nächtelange Diskussionen mit Ärzten darüber. Und ich will ja gar nicht in Abrede stellen, dass es Ärzte gibt, die versuchen, diese schwierige Abwägungssituation mit einem Katalog von Voraussetzungen aufzufangen. Aber der absolut überwiegende Teil der Ärzte sagt: Es geht immer um die Absicht des Arztes. Verabreiche ich dem Patienten dieses Sedativum, um sein Leiden zu lindern, eingedenk der Tatsache, dass der Tod früher als vielleicht natürlich einträte? Tue ich es, um sein Leben zu beenden, oder um sein Leiden zu minimieren? Darum geht es.
Im Positionspapier von Reimann, Hintze, Wöhrl zählt unerträgliches Leiden auch zu den Voraussetzungen für die ärztlich assistierte Sterbehilfe
Wenn Sie die Menschen fragen, die jeden Tag mit dem Thema zu tun haben – in der Palliativmedizin oder der Hospizarbeit: Es gibt kein Krankheitsbild mehr, das den Menschen zu unermesslichem Leid verurteilt. Das Sterben schreckt ja die wenigsten Kranken, aber der Weg dorthin. Das Alleinsein und die Angst vor unermesslichem Schmerz. Und da sagen alle Palliativmediziner: Wir sind heute so weit, dass wir die Menschen vom Schmerz befreien können. Wir müssen ihnen nur den Zugang ermöglichen.
Ist die Angst vor unerträglichen Schmerzen und Leiden der Grund, weshalb es in Umfragen eine hohe Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe gibt?
Ja. Das ist es, wovor die meisten Menschen panische Angst haben, dem wollen sie durch diesen selbstgewählten Ausweg entgehen. Man merkt nur, je näher die Menschen dran sind, desto öfter ändert sich das wieder. Der Fall Walter Jens zeigt das eindringlich, der mir immer noch Schauer über den Rücken jagt. Nachdem er von seiner Alzheimer-Erkrankung erfuhr, hatte er für sich verfügt, dass er unter keinen Umständen in irgendeiner Art dahinvegetieren möchte. Und als er dann schon fast nicht mehr reden konnte, hat er sich diese drei Worte noch abgerungen: „Nicht tot machen!“. Am Ende bleibt die entscheidende Frage: Will die Gesellschaft die Voraussetzung dafür schaffen, dass der Mensch dem ihm gegebenen Leben selbst ein Ende setzt?
Wird in Ihrem Positionspapier eine Verschärfung der Rechtslage gefordert?
Es ist insofern schon eine Verschärfung, weil wir ein Themengebiet anpacken, das bisher nicht geregelt ist. Bei geschäftsmäßiger Form ist es ein halblegaler Zustand, der sich auszuweiten droht: Die Frage der Organisiertheit eines Sterbehilfe-Vereins. Bislang ist es nicht verboten, dass sich Menschen das auf die Fahne schreiben und eine organisatorische Einheit bilden. Es ist nur verboten, dass sie am Ende bei der entscheidenden Tat die Grenze der passiven Beihilfe zur aktiven Tatherrschaft übergehen. Unsere Gesellschaft muss aber schon vorher dafür sorgen, dass jemand in einer existenziellen Notlage auch ordnungsgemäß beraten wird. Er muss für das Leben beraten werden, für die Hilfe, die es gibt. Er soll eben nicht von einer Organisation beraten werden, die ihre Ausrichtung darin hat, jemanden zu Tode zu bringen.
Denn: Wenn der angebotene Tod zu einer gesellschaftlich akzeptierten Option wird, ist nicht nur das Schutzgut Leben bedroht, zu dessen unbedingtem Schutz wir durch das Grundgesetz aufgefordert sind. Die Gesellschaft insgesamt wird eine andere Richtung einschlagen. Der Druck auf Menschen, die ihr eigenes Leid für sich und andere als „unzumutbar“ empfinden, wird elementar werden und sie in eine falsche Richtung drängen.
Sollte die ordnungsgemäße Beratung konkreter geregelt und institutionalisiert werden?
Ja, die Beratung muss eine Begleiterscheinung der Förderung der Hospiz- und Palliativmedizin sein. Da sind sich ja alle einig, dass die palliativen Einrichtungen ausgebaut werden müssen. Nicht nur in der Großstadt, sondern auch auf dem Lande. Da müssen auch ambulante Angebote gefördert werden. Die Menschen müssen schnell Beratung bekommen von jemandem, der darin Erfahrung hat. Nicht von jemandem, der aus welchen Gründen auch immer gegen das Leben berät und nicht dafür. Die Politik darf sich nur dann anmaßen, beim assistierten Suizid einzugreifen, wenn sie auf der anderen Seite mit einem weitreichenden Ausbau der ambulanten Palliativversorgung und der Hospizarbeit den Menschen in schwierigster Lebenssituation eine Alternative anbietet.
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