Gastbeitrag „Die Welt“ – Unsere Rente im Jahre 2035″
Gastbeitrag – „Die Welt“ vom 25.11.2016:
Es mehren sich die Stimmen, die den demografischen Wandel nicht mehr als Problem ansehen. Vor allem mit Eintritt der letzten Babyboomer in den Ruhestand im Jahr 2035 und dem damit erreichten Höhepunkt der Personen, die aus dem Erwerbsleben scheiden, würden sich die herausfordernden Belastungen verringern.
Dies ist eine gefährliche Fehleinschätzung. Richtig ist, dass es Entwicklungen und entsprechende Ursachen gibt, die nicht originär demografischer Natur sind, beispielsweise das Bildungssystem, die Attraktivität des Lebensraumes oder persönliche Perspektiven betreffend. Man mag kritisieren, dass viele Entwicklungen unter dem Begriff des demografischen Wandels geführt werden. Positiv ist anzumerken, dass die Diskussion unter diesem Schlagwort dazu geführt hat, dass die Herausforderungen in den Blick geraten sind und thematisiert werden.
Richtig ist auch, dass der Blick auf die Konsequenzen sich oftmals verengt. Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen hat zuletzt ein wichtiges Thema wieder in den Fokus gerückt: Die Tragfähigkeit der Finanzen unter Berücksichtigung der Demografie. Die Projektionen zeigen, dass selbst bei einer positiven Bevölkerungsentwicklung die Tragfähigkeit bröckelt. So inhaltlich richtig einige Vorhaben im Rahmen sozialpolitischer Maßnahmen sein mögen, die demografische Entwicklung und die finanziellen Spielräume mahnen uns, vorausschauend zu handeln. Derzeitig steigende Steuereinnahmen sind beruhigend, aber die Geschichte zeigt, dass der Aufschwung immer wieder Dämpfer erleidet. Der letzte Einbruch ist noch gar nicht lange her.
Deshalb sind Vorhaben, die bei anfänglich überschaubaren Kosten, sich in einigen Jahren zu großen Ausgabenposten entwickeln werden und dann die Tragfähigkeit zusätzlich belasten besonders kritisch zu hinterfragen. Die diskutierten Haltelinien des Rentenniveaus würden die Mechanismen zum Erhalt der Finanzierbarkeit aufheben und sind ohne höhere Beiträge oder längere Arbeitszeiten nicht leistbar.
Wir stehen hier vor einem sich verstärkenden Problem: Durch die Verringerung der Beitragszahler bröckelt die Basis der finanziellen Tragfähigkeit. Gleichzeitig erhöht sich aber vor allem die Zahl zunehmend gesunder Rentner. Dabei stellen sowohl der begrüßenswerte absolute Anstieg, als auch die Tatsache, dass die Rentenbezugsdauer stetig ansteigt, eine sich beschleunigende Entwicklung dar.
Irritierend ist vor diesem Hintergrund besonders die Ansicht, mit dem Renteneintritt der letzten Babyboomer-Kohorte 2035 wäre das Problem insofern nahezu gelöst, da dann das Maximum des Eintritts erreicht sei. Gerade in diesem Jahr beginnen die eigentlichen Herausforderungen. Die größten Kohorten von Beitragszahlern sind damit zu Leistungsempfängern geworden. Hinzu kommt, dass eine zweite sich selbst verstärkende Entwicklung stattgefunden hat: Durch die über Jahrzehnte geringe Geburtenrate ist die Zahl potentieller Mütter jährlich niedriger geworden. Damit wird sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern im Ruhestand auf lange Sicht nicht entspannen und wirft ein Schlaglicht auf die Finanzbarkeit.
Bedauerlicherweise erleben wir auch in diesem Bereich jenes Phänomen, das neuerdings unter dem Begriff „postfaktisch“ firmiert. Objektive Erkenntnisse zählen nicht mehr. Dies zeigt ebenfalls das Beispiel der Rentendebatte. Die Vehemenz mit der gegen eine Absenkung des Rentenniveaus, das entgegen der Meinung nicht für eine Verringerung der Rente steht, sowie eine Verschiebung des Renteneintritts gestritten wird, ist nicht nachvollziehbar. Eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung ist sinnvoll und unausweichlich. Zudem müssen wir vom verengten Blick auf die Rente abkommen. Entscheidend ist, wie wir die Lebensverhältnisse für junge Menschen gestalten und diese ausbilden. Bildung ist jedoch auch ein Thema der älteren Beschäftigten. Nur mit lebenslangem Lernen und entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen wir es, die Erwerbstätigkeit erfahrener Mitarbeiter zu erhöhen. Beide Entwicklungen sind von entscheidender Bedeutung für die Stabilität unserer Leistungssysteme und damit für den Fortbestand des bisherigen Niveaus.
All das zeigt auf, wie wichtig es ist, dass wir uns mit den demografischen Entwicklungen nicht nur befassen und nach Lösungen suchen, wir müssen auch zurück zu den Fakten. Zukunftsorientierte, generationengerechte und nachhaltige Politik verlangt mehr als die Verdrängung unangenehmer Botschaften.
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