Gastbeitrag F.A.Z. – Digitalisierung und Demographie
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.10.2017, Seite 6
Digitalisierung und Demographie
Anfang des 19. Jahrhunderts protestierten in England und Deutschland die sogenannten Maschinenstürmer gegen die Veränderungen der Arbeitsbedingungen im Zuge der ersten industriellen Revolution. Sie hat die Angst verbunden, in Folge des technischen Fortschritts ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Etwa 200 Jahre später bestimmen die Digitalisierung der Lebensbereiche, Arbeit 4.0 und die Automatisierung der Arbeitswelt die Zukunftsdebatte. Die Sorgen der Menschen sind ähnlich. Vor allem Niedrigqualifizierte fürchten um ihren Arbeitsplatz. Doch die Geschichte zeigt: Wir können diesen Wandel erfolgreich gestalten.
Digitalisierung bietet zahlreiche Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Durch Reduzierung der Anforderungen und der Komplexität bisheriger Tätigkeiten besteht die Chance für Niedrigqualifizierte, höherwertige Aufgaben wahrzunehmen. Zudem ermöglicht Automatisierung, die körperliche Belastung zu verringern. Das wird eine ältere Pflegekraft beim Heben eines Patienten entlasten. Erste Ansätze gibt es bereits. Dieser Aspekt ist vor allem vor dem Hintergrund der notwendigen längeren Lebensarbeitszeiten und der berechtigten Kritik daran von Bedeutung, da aufgrund der hohen körperlichen Anstrengungen in einigen Berufen eine längere Erwerbstätigkeit nicht ohne weiteres möglich ist. Die Möglichkeiten durch Digitalisierung und Automatisierung vervollständigen die bisherigen Reaktionen, die wir als Unionsfraktion durch die Einführung der Flexi-Rente bereits angestoßen haben.
Die Digitalisierung eröffnet neue Perspektiven für die positive Entwicklung des ländlichen Raums. Die Anstrengungen des Breitbandausbaus sind hier ein notwendiger, aber noch kein hinreichender Schritt. Aufbauend auf dieser infrastrukturellen Grundlage, bieten sich durch die Digitalisierung zahlreiche Verbesserungen und vielfältige Möglichkeiten.
Familien, vor allem kinderreiche, finden in Städten kaum noch bezahlbaren und geeigneten Wohnraum. Dieser ist auf dem Land vorhanden. Durch die Digitalisierung wird es für Familien einfacher, diese Vorteile zu nutzen. Die Arbeitswelt verändert sich und löst sich mit der Digitalisierung von festen Orten und Zeiten. Geringere Präsenzpflicht am Arbeitsplatz erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Sinne der Kinderbetreuung als auch der Pflege von Angehörigen. Der ländliche Raum als vermeintlicher Verlierer des demographischen Wandels kann zum Gewinner werden, wenn wir die Vorteile des dort vorhandenen Wohnraums mit den Chancen der Digitalisierung zusammenbringen. Das Ziel ist eine Stabilisierung des Lebens- und Wohnumfeldes, welche auch einen Anstieg der Geburtenzahlen begünstigt. Dies trägt zu einer nachhaltigen Verjüngung der Bevölkerung sowie der Sicherung der sozialen Sicherungssysteme und der Fachkräftebasis bei.
Im Gesundheitswesen ist Telemedizin das Stichwort. Hier geht die Entwicklung stetig voran. Mit Apps, die kritische Veränderungen rechtzeitig registrieren, kann frühzeitig reagiert werden. Das bedeutet vor allem für ältere Menschen im ländlichen Raum eine deutliche Steigerung ihrer Lebensqualität, denn der lange und beschwerliche Weg zum Arzt kann bei gleichzeitiger optimaler Überwachung des Gesundheitszustands reduziert werden.
Erste Schritte im Bereich des E-Government wurden bereits unternommen. Doch müssen wir die Bemühungen deutlich verstärken. In vielen Bundesländern wurden Strukturreformen durchgeführt, in deren Folge die Distanz der Bürger zu ihrer Verwaltung vergrößert wurde. Mehr Möglichkeiten, Verwaltungsvorgänge von zu Hause aus zu erledigen, können der wahrgenommenen Bürgerferne der Politik entgegenwirken und die Lebensbedingungen auf dem Land deutlich verbessern. Unser digitales Bürgerportal ist ein Element, mobile Bürgerämter ein weiteres.
Digitalisierung und Automatisierung bieten vielfältige Chancen für die Bewältigung der demographischen Herausforderungen. Diesen Prozess müssen wir mit vermehrten Bildungsanstrengungen begleiten. Lebenslanges Lernen ist unabdingbar, um mit den Herausforderungen des Berufs- und Privatlebens Schritt zu halten. Dies gilt vor allem für Weiterbildungen der Arbeitnehmer. Ist aber auch im Privaten unerlässlich. Die Digitalisierung macht nicht vor der Haustür halt. Lebenslanges Lernen kann einen längeren Ausstieg für Qualifizierung und Neuorientierung bedeuten. Gleichzeitig ist ein verstärkter Blick auf die Jugend zu richten. Zu viele junge Menschen verlassen das Bildungssystem ohne die nötige Ausbildungsreife oder gar ohne Abschluss. Mit Schul- und Berufsbildung werden jedoch die Grundlagen für die Erwerbsbiographie gelegt. Gute Ausbildung ist die effektivste Maßnahme gegen Altersarmut.
Die Entwicklungsstränge müssen zusammen gedacht werden und bieten eine große Chance für unsere Gesellschaft, wenn wir jetzt entschlossen handeln. Digitalisierung trifft Demographie. Dies ist kein Schreckgespenst, sondern der Schlüssel zu einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung.
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