Interview im Deutschlandfunk zur Flüchtlingspolitik

19. Juli 2017 | Innen und Recht

„Wir wollen kein Reiseunternehmen auf dem Mittelmeer aufmachen“

Dazu sprach ich am 19.07.2017 im Interview mit dem Deutschlandfunk, das komplette Interview können Sie hier nachlesen:

Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser hat die Arbeit von NGOs, die Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot retten, kritisiert. Einige würden den Schleppern das Geschäft erleichtern, indem sie sich sichtbar vor der libyschen Küste positionierten, sagte er im Dlf. Sinnvoller sei es, sich direkt in Afrika zu engagieren.

Michael Frieser im Gespräch mit Christine Heuer

Er habe für jeden Verständnis, der helfen wolle, so Frieser. Doch es habe sich bei einigen NGOs eine Art „Geschäftsgang“ entwickelt, bei dem es zur direkten Übergabe von Schlepperbooten auf die Rettungsboot komme. Damit betreibe man das Geschäft der Schlepper.

Die NGOs sollten sich lieber bei der Frage einbringen, wie Fluchtursachen bekämpft werden könnten, sagte Frieser. „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Menschen in Afrika eine Perspektive geben können“.

Frieser zeigte Verständnis für Italien – das Land hatte zuletzt wiederholt mehr Unterstützung von den EU-Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen gefordert. Er betonte, dass die EU-Mitglieder sich mit Italien solidarisch zeigen sollten. Für diejenigen, die bei der Flüchtlingsfrage nicht mitarbeiteten, müsse es Konsequenzen geben.

Christine Heuer: So etwas wie 2015 dürfe sich nicht wiederholen, sagt auch Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vor knapp zwei Jahren in Budapest gestrandete Migranten nach Deutschland einlud. Jetzt aber spitzt sich die Lage wieder zu. Nach der Sperrung der Balkan-Route und dem Türkei-Abkommen versuchen, die meisten neuen Flüchtlinge über die Mittelmeer-Route nach Europa zu gelangen, und sie landen in Italien. Das Land ächzt unter dieser Verantwortung, es klagt die Solidarität der anderen EU-Staaten ein – vergeblich – und hat zuletzt gedroht, Flüchtlinge weiterreisen zu lassen in den Rest Europas. Österreich droht, den Brenner zu sperren, und alle gemeinsam machen den Hilfsorganisationen im Mittelmeer Vorwürfe. Darüber möchte ich jetzt mit dem innenpolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag sprechen. Guten Morgen, Michael Frieser.

Michael Frieser: Einen wunderschönen guten Morgen aus Nürnberg.

Heuer: Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, macht den Nichtregierungsorganisationen den Vorwurf, mit Schleppern zusammenzuarbeiten. Schließen Sie sich dem an?

Frieser: Ja. Uns liegen leider Gottes wirklich Berichte vor, dass es Organisationen gibt, die im Grunde in Sichtnähe der libyschen Küste des Nachts die Scheinwerfer anwerfen und damit den Schlepperbanden das Signal geben, ihre Seelenverkäufer hinauszufahren auf das hohe Meer. Die würden gar nicht länger halten als einige hundert Meter. Und dann kommt es im Grunde zu einer Übergabe von Flüchtlingen von Boot zu Boot, noch in unmittelbarer Nähe der Küste. Ja, solche Fälle liegen vor. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg, um mit diesem Elend dieser Menschen umzugehen.

„Es hat sich so eine Form von Geschäftsgang ergeben“

Heuer: Nun müssen wir gleich ins Detail gehen, Herr Frieser, denn die Nothelfer auf dem Mittelmeer, die privaten, die sagen, sie müssen diese Beleuchtung anmachen in Notsituationen. Alles andere würde gegen das Seerecht verstoßen. Wollen Sie, dass die das Gesetz brechen?

Frieser: Nein, überhaupt nicht. Um Gottes willen! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe für jeden Verständnis, der erstens versucht zu helfen, und ich habe natürlich für jedes wirkliche Schicksal auch Verständnis, dass man an dieser Stelle möglichst lebensrettend beenden will.

Aber es hat sich so eine Organisationsform ergeben, das berichten uns ja nicht nur die libyschen Küstenwachen, sondern es berichten auch tatsächlich Flüchtlinge, wo man wirklich sagen muss, es hat sich so eine Form von Geschäftsgang ergeben, und das hat mit Seerecht nun wirklich gar nichts zu tun. Denn der Normalfall wäre eigentlich in unmittelbarer Nähe zur libyschen Küste, dass sie nicht aufgenommen werden und dann übers Mittelmeer transportiert werden, sondern wieder zurück an die libysche Küste gebracht werden. Deshalb muss man sagen, mit Seerecht hat das eigentlich tatsächlich wirklich nichts zu tun. An dieser Stelle muss man den Leuten schon deutlich ins Gewissen reden. Das funktioniert so nicht.

Heuer: Herr Frieser, das ist aber Ihre Interpretation. Da steht Aussage gegen Aussage.

Frieser: Nein, da steht nicht Aussage gegen Aussage. Da steht das Seerecht eigentlich gegen die Tatsache, dass solche Organisationsformen im Grunde eigentlich nicht hilfreich sind. Denn sind wir mal ehrlich, Frau Heuer: Es geht darum, dass man damit eigentlich das Geschäft der Schlepper betreibt, nicht das Schicksal der Flüchtlinge löst. Denn die haben ja trotzdem noch eine Überfahrt, die haben trotzdem noch einen unglaublichen Weg dann auch in Italien vor sich, sondern man betreibt das Geschäft der Schlepper und Schleuser und macht sich damit ein gutes Stück zum Helfershelfer.

„Den Menschen am besten in Afrika eine Perspektive geben“

Heuer: Noch einmal: Die Seenotretter sehen das natürlich ganz anders, als Sie das sehen. Aber die Frage stellt sich ja: Wenn die Boote nicht mehr das Licht einschalten dürfen, nicht mehr gesehen werden, dann ist das Ergebnis ja, dass sie die Flüchtlinge lieber ertrinken lassen sollen. Das können Sie doch nicht wollen.

Frieser: Ich entnehme Ihrer Stimme, dass Sie sagen, im Grunde müssen wir eigentlich mit dem Zustand leben, dass Menschen, um den letzten Cent ihres Lebens gebracht, versuchen, sich auf irgendein Schlepperboot zu retten, das eigentlich ihr Schicksal schon besiegelt hat, sobald sie nur sich in die Hände von Schleusern begeben. Das kann doch nicht unser Ansinnen sein. Unser Ansinnen muss doch sein, dass wir diesen Menschen an Ort und Stelle, am besten natürlich in Afrika eine Perspektive geben. Wir können uns doch jetzt nicht mit der Frage beschäftigen, verhalten sich NGO’s, Nichtregierungsorganisationen tatsächlich zutreffend, wenn sie nichts anderes machen, als Schleppern die Hand reichen, indem sie einfach Flüchtlinge übernehmen.

Wenn wir über diese Frage singulär reden, dann blenden wir komplett das gesamte Schicksal aus, vor dem nicht nur viele Menschen auf der Flucht stehen, sondern vor dieser Herausforderung, vor der auch Europa steht. Also lassen Sie uns lieber über die Frage nachdenken, wie wir den Menschen tatsächlich in Afrika eine Perspektive geben können. Wir haben dort sehr viele Programme vorgelegt, zu sagen, da muss Europa sehr viel mehr machen, und da halten wir uns bitte an die Kollegen in Europa.

„Den Schlepper nicht auch noch das Geschäft erleichtern“

Heuer: Aber bis dahin, Herr Frieser – jetzt gehe ich mal dazwischen; Entschuldigung! -, bis dahin ertrinken noch sehr viele Flüchtlinge im Mittelmeer. Und ich sage das noch einmal: Sie unterstellen den NGO’s eine Zusammenarbeit, eine Kooperation mit den Schlepperbanden. Wir haben jetzt hier niemanden von den NGO’s; deshalb sage ich das jetzt noch mal. Die verwehren sich gegen diesen Vorwurf. Ich frage es mal an einem anderen Beispiel: Die EU-Innenminister wollen einen Verhaltenskodex haben, nach dem die Seenotretter die Flüchtlinge nicht mehr an größere Schiffe abgeben dürfen, wenn sie die einmal gerettet haben. Das hätte den Effekt, dass weniger Menschen gerettet werden. Wollen Sie das wirklich?

Frieser: Ich will, dass weniger Menschen sich in die Hände von Schleusern begeben.

Heuer: Aber die sind doch schon mal unterwegs. Soll man die denn da im Meer schwimmen lassen?

Frieser: Aber dann lassen Sie uns doch genau über diese Frage reden. Ich finde immer, dass wir uns das fast etwas einfach machen. Noch mal: Um Gottes willen, ich setze doch niemanden gleich mit irgendwelchen Verbrechern. Mir geht es hier nur darum, dass man dort an dieser Stelle den Menschen, denen wir wirklich nicht helfen dürfen, und das sind die Schlepper, nicht auch noch das Geschäft erleichtern dürfen. Deshalb geht es um die entscheidende Frage: Warum sind NGO’s nicht bereit, tatsächlich mit uns dann darüber zu reden, wie sie bereits auf der Küste, wie sie bereits im afrikanischen Kontinent, wie sie bereits mit Informationszentren in Afrika mit diesen Menschen umgehen können. Es wäre viel sinnvoller, wenn wir uns als Europa direkt in Afrika engagieren, als dass wir versuchen, an einer Stelle, wo es bereits um Leben und Leib geht, dass wir dort versuchen, ein Problem zu lösen. Da sollten sich die Nichtregierungsorganisationen meines Erachtens mit einbringen.

„Italien an dieser Stelle nicht allein lassen“

Heuer: Aber das eine schließt ja das andere überhaupt nicht aus, und das gilt nicht nur für Nichtregierungsorganisationen; das gilt auch für Staaten. Müssten die Staaten, die EU, nicht mehr tun, um tatsächlich mehr Flüchtlinge auch ganz gezielt und absichtlich zu retten, die da von Schleppern über das Meer geschafft werden und dann vielleicht auf halber Strecke im Meer landen?

Frieser: Genau das ist das, was die Innenminister Europas jetzt versucht haben, miteinander abzusprechen, nachdem Italien, für das ich übrigens auch sehr viel Verständnis habe, denn im Augenblick trägt die Hauptlast tatsächlich Italien. Es ist ja nicht so, dass wir als Deutschland, insbesondere als Bayern nicht wüssten, was das bedeutet. 2015, 2016 sind die meisten nun mal hier in Bayern angekommen über die Balkan-Route. Jetzt trägt Italien diese Last. Sie ist nicht ganz so groß, wie sie damals war, und ich hoffe, das wird sich auch nicht ändern. Aber trotzdem ist es so, dass wir Italien an dieser Stelle nicht allein lassen dürfen.

Wir haben sehr viel getan, sei es um die Frage, Frontex zu verstärken. Jetzt geht es um die Verlängerung von Sophia, genau um diesen Aspekt. Aber wir wollen kein Reiseunternehmen aufmachen über das Mittelmeer, sondern wir müssen das Problem lösen. Dazu brauchen wir die anderen Staaten. Da geht es nicht nur um die Umverteilung von Menschen, die bereits da sind, auf die anderen europäischen Länder, wo sich sehr viele in Europa leider immer noch sehr hartherzig zeigen, sondern es geht vor allem darum, dass wir genau den Italienern im Augenblick helfen.

„Solidarität ist da manchmal ein bisschen ein Fremdwort“

Heuer: Und auch da, Herr Frieser, mit der Solidarität in Europa kommen wir nicht weiter!

Frieser: Ja, Sie haben vollkommen Recht. Solidarität ist da manchmal ein bisschen ein Fremdwort, und da kann ich nur sagen, das kann ich den anderen nicht durchgehen lassen. Wer Teil einer Wertegemeinschaft ist, kann nicht einfach für sich entscheiden, nö, bei diesem Problem stehen wir abseits, wenn es um Geld geht und wenn es um Unterstützung geht und wenn es um Förderung geht, da sind wir dabei, aber sobald es mal um das Schicksal von Migranten oder von Flüchtlingen geht, da wollen wir nichts mehr davon wissen. Ich glaube, das Europa nach wie vor vor einer Probe steht, die wir den anderen wirklich abverlangen müssen, und wir müssen über mehr reden als guten Willen. Wir müssen auch darüber reden, dass das Konsequenzen haben muss, wenn sich Länder in Europa dieser Mitarbeit an diesem Thema verweigern.

Heuer: Und da genau machen Sie weiter. Darüber wird auch schon eine Weile gesprochen. Es muss weitergehen, haben wir verstanden. Michael Frieser, der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag war das. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch heute Früh.

Frieser: Danke Ihnen! Einen schönen Tag noch.

Heuer: Ebenso.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/europa-und-die-fluechtlinge-wir-wollen-kein.694.de.html?dram:article_id=391452

Weitere Beiträge zu dieser Kategorie:

Tag des Fahrrads

Tag des Fahrrads

Heute ist der europäische Tag des Fahrrads. Mit...

Skip to content