INTERVIEW MIT MICHAEL FRIESER
Sie waren als Justiziar der Unionsfraktion intensiv an der Reform des Infektionsschutzgesetzes beteiligt, Herr Frieser. Wie sehr treffen Sie persönlich die massiven Proteste dagegen?
Michael Frieser: Über Sachfragen kann man gerne diskutieren und auch unterschiedlicher Meinung sein. Was mich entsetzt, das sind die Kreise, die das zieht. Einer kleinen Gruppe, die sich in Fundamentalopposition zu unserer Corona-Politik befindet, ist es gelungen, für Verunsicherung auch unter den Menschen zu sorgen, die eigentlich hinter den Maßnahmen stehen. Ich merke das daran, dass die Zahl der persönlichen Mails zu diesem Thema von 30 bis auf 80/90 am Tag gestiegen ist.
Müssen Sie sich als Unionsfraktion und als große Koalition nicht selbst Vorwürfe machen? Sie hätten seit dem Ausbruch der Pandemie im März viel Zeit gehabt, das Infektionsschutzgesetz zu reformieren. Und nun musste alles plötzlich ganz schnell gehen, um nicht zu sagen: hektisch. So etwas schafft doch Misstrauen.
Frieser: Das ist leider so nicht richtig, wie Sie es beschreiben. Über Monate hinweg haben Gerichte die bisherige rechtliche Grundlage weitgehend mitgetragen. Als dann im August darauf hingewiesen wurde, dass angesichts der länger andauernden Pandemie klarere Formulierungen nötig seien, haben wir uns sofort daran gemacht. Das Gesetzgebungsverfahren wurde zwar zügig, aber im normalen Rahmen abgewickelt. Von „Durchpeitschen“ kann keine Rede sein.
Aber es meldeten sich einige wenig schmeichelhafte juristische Gutachter, die Ihren Gesetzestext zerpflückten.
Frieser: Es gab tatsächlich berechtigte Anmerkungen von Fachleuten, dass wir die Abstufung und die jeweilige Intensität der Maßnahmen genauer fassen müssen. Diese Kritikpunkte haben wir aufgegriffen und den Text nochmal komplett umgeworfen.
Und warum wird das Parlament nicht besser einbezogen, wie von großen Teilen der Opposition gefordert?
Frieser: Ich kann das nicht nachvollziehen. Es gab im Bundestag rund 70 Debatten zum Thema Corona. Die Kanzlerin stand den Fraktionsvorsitzenden fast im Wochenrhythmus zur Verfügung. Und nun gibt es die Verpflichtung zu regelmäßigen Berichten an das Parlament. Gestern erst hat der Bundestag erneut ausdrücklich das Vorhandensein einer nationalen epidemischen Lage festgestellt – das ist die Voraussetzung für Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz.
Trotzdem wird das gar nicht in der Verfassung vorgesehene Instrument der Corona-Gipfel von Kanzlerin und Ministerpräsident(inn)en von vielen als der Ort wahrgenommen, an dem im Gegensatz zu unserer Rechtsordnung Entscheidungen gefällt werden.
Frieser: Die Politik in einem demokratischen Rechtsstaat muss sich doch irgendwie organisieren. Es gibt ja auch noch andere, eigentlich nicht vorgesehene Gremien wie den Koalitionsausschuss, die in der Praxis unverzichtbar sind. Nochmal kurz zu Corona: Da wird gefordert, dass es keinen juristischen Flickenteppich in den Ländern geben dürfe. Und wenn sich die Kanzlerin mit den Länderchefs zusammensetzt, um genau das zu vermeiden, wird es auch wieder kritisiert.
Das Interview führte Harald Baumer