Im Jahr 2021 erreichte Ihre Partei 5,2 Prozent der Zweitstimmen. Dieses Ergebnis würde auch beim nächsten Mal reichen, um wieder im Bundestag vertreten zu sein. Wären es aber im Herbst 2025 nur 0,3 Prozentpunkte weniger, dann würden der CSU ihre ganzen gewonnenen Direktmandate nichts mehr helfen. Sie wäre mit ihren 45 gewählten Abgeordneten draußen aus dem Berliner Politikbetrieb. Herrscht in der CSU nun Panik?

Nein, Panik herrscht sicher nicht; wäre auch nicht angemessen für die CSU, die viele Jahre Regierungsverantwortung mitgetragen hat und nun ihre Oppositionsrolle sehr ernst nimmt. Allerdings sind wir in hohem Maße empört über diese wirklich unanständige Art des Umgangs mit bundesdeutscher Geschichte, dem Wählerwillen und darüber, wie sich die Ampel-Koalition da ein Wahlrecht zurechtgezimmert hat, das im Wesentlichen nur ihren eigenen Interessen dient und beim politischen Gegner – übrigens nicht nur bei der CSU – maximalen Schaden anrichten soll.

Sie spielen gerade auf die Abschaffung der bisher unangefochtenen Grundmandatsklausel an. Demnach würden nicht wie bisher drei gewonnene Direktmandate reichen, um trotz Unterschreitens der Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament einziehen zu können.

Das Argument der Ampel für diesen Schritt ist, dass diese Unterschreitung der 5%-Hürde nicht mehr ins System der Zweitstimmendeckung passt. Eigentlich ganz einleuchtend, oder?

Bei den „parteiunabhänigen“ Kandidaten, die sich ganz ohne Liste weiterhin bewerben können, geht es selbst in diesem Entwurf doch auch. Aber auch bei diesem fragwürdigen „Kappungssystem“ ließe sich eine Regelung finden, indem ab mindestens drei gewonnen Mandaten diese dann in Höhe der erreichten Zweitstimmen ins Parlament einziehen.

Die Wahlrechtsreform umfasst aber auch andere Punkte, die die CSU schwer treffen könnten. Zum Beispiel die Tatsache, dass ein gewonnenes Direktmandat in einem Wahlkreis nicht mehr zwingend den Einzug in den Bundestag führt. Gerade das war bisher immer die Stärke der Christsozialen.

Genau. Ich will aber gerne nochmals darauf hinweisen, dass auch andere Parteien selbst in Bayern gerne Wahlkreise gewinnen dürfen. Wenn aber eine Partei nun mehr Direktmandate gewinnt, als von dem Zweitstimmenergebnis gedeckt sind, würden nur noch diejenigen Wahlkreissieger mit den besten Ergebnissen aus dem Bundesland ins Parlament einziehen. Die anderen  blieben einfach  draußen, obwohl diese Persönlichkeiten ja von den Bürgerinnen und Bürger mit den meisten Stimmen direkt vor Ort gewählt wurden und in einer demokratischen Wahl gewonnen haben.

In jüngerer Vergangenheit haben häufig schon 20 bis 30 Prozent der Stimmen ausgereicht, um einen Wahlkreis zu erobern. Hat die Ampel nicht recht, wenn sie sagt, von einer überzeugenden Mehrheit und einem daraus folgenden zwingenden Mandat könne da keine Rede mehr sein?

Diese Art der Betrachtung ist völlig falsch: Einmal abgesehen von der Tatsache, dass auch alle Bewerber auf einer Liste immer nur mit einer relativen Mehrheit von zumeist viel weniger als 20 % der Stimmen gewählt werden, ist insbesondere in Großstädten bei den Direktbewerbern der politische Wettbewerb härter geworden und die Kandidatinnen und Kandidaten liegen im Ergebnis viel näher beieinander als auf dem Lande. Das hat doch nichts mit der Qualität der Bewerber zu tun, sondern mit den Milieus, die sich gewandelt haben. Dort treten auch regelmäßig mehr Kandidaten an. Wenn man das geplante neue Wahlrecht zu Ende denkt, dann wird es künftig etliche Großstädte in Deutschland geben, die gar nicht mehr mit einem direkt gewählten Abgeordneten im Parlament vertreten sind. Das hielte ich für ein ganz fatales Signal.

Ganz konkret, auf Bayern bezogen: München und Nürnberg hätten eventuell weniger oder gar keine Wahlkreisabgeordneten mehr. Damit wäre auch Ihr eigenes Mandat akut bedroht. Kann man Ihnen da nicht vorwerfen, dass Sie selbst und die CSU sich dem Gesetzentwurf in erster Linie aus Angst vor dem eigenen Untergang ablehnen?

Sollen wir jetzt keine Kritik mehr üben dürfen, weil wir selbst betroffen sind? Das sind doch letztlich alle Politiker, die momentan über dieses Thema reden – egal, von welcher Partei. Wieder so ein Versuch, jemanden mundtot zu machen. Dass die anfangs versprochene Maximalgröße des Bundestages mit  598 Sitzen jetzt plötzlich auf 630 steigt, hat alleine etwas mit der „persönlichen Betroffenheit“ der SPD zu tun. Damit retten vermutlich 20 Direkt-Bewerber der SPD ihre Haut, wenn man die Ergebnisse auf die letzte Bundestagswahl überträgt. Außerdem: Das Großstadt-Argument reicht weit über meine Angelegenheiten und die der CSU hinaus. Es wäre doch fatal, wenn es zu einer solch schwer wiegenden Verschiebung zwischen den Metropolen und den Regionen kommt.

Warum sind der Union die direkt gewählten Abgeordneten eigentlich so wichtig? Mal abgesehen davon, dass die CSU in Bayern regelmäßig so gut wie alle Wahlkreise gewinnt.

Wir haben nun mal in Deutschland ein personalisiertes Verhältniswahlrecht. Wer das ändern und die Erststimme entwerten will, der soll das wenigstens offen sagen und sie nicht heimlich abschaffen. Direkt gewählte Abgeordnete sind wichtig, weil sie auch gegenüber der eigenen Partei weit unabhängiger auftreten können. Dazu wird jeder einzelne Bewerber von der Basis direkt nominiert und nicht wie bei einer Liste nur insgesamt von der Partei. Verlieren diese Wahlkreisabgeordneten an Einfluss, wächst den Parteizentralen die zweifelhafte Macht zu, die Listen mit braven Parteisoldaten zu bestücken.

Die Union wird die Wahlrechtsreform morgen im Bundestag kaum noch aufhalten können, da SPD, Grüne und FDP das mit ihrer eigenen Mehrheit beschließen können. Ihnen bleibt dann nur noch der Weg vor das Bundesverfassungsgericht.

Den werden wir ziemlich sicher beschreiten. Sei es als Unionsfraktion im Bundestag oder als Freistaat Bayern, der ja von den Änderungen auch massiv betroffen wäre. Ich halte vieles an der Vorlage für verfassungskritisch. Ich sage ausdrücklich nicht verfassungswidrig, weil ich dem obersten Gericht nicht vorgreifen will. Alleine die Tatsache, dass künftig direkt gewählte Abgeordnete von lokalen und regionalen Wählergruppierungen als Parteiunabhängige ohne weiteres in den Bundestag einziehen könnten, solche von der CSU aber gegebenenfalls nicht, ist meines Erachtens nicht haltbar.

Müssen sich CDU und CSU nicht den Vorwurf gefallen lassen, während all ihrer Regierungsjahre mit den anderen Parteien zu wenig konstruktiv an einer Wahlrechtsreform mitgearbeitet zu haben? Und nun haben Ihnen das andere aus der Hand genommen…

Ich habe zehn Jahre lang an vorderster Front mitverhandelt bei diesem Thema. Von uns kamen immer wieder Vorschläge und Kompromissangebote. Und es gab ja bereits eine Veränderung, die bei der Wahl 2021 dazu geführt hat, dass es nun rund 50 Abgeordnete weniger sind als ohne laufende Reform. Immer noch zu viel, aber ein Weg, den man weiter hätte beschreiten können. Der Wille dazu war bei SPD, Grünen und FDP offensichtlich nicht vorhanden. Höchst bedauerlich, dass ein solch wichtiges Thema wie das Wahlrecht nicht gemeinsam geklärt werden kann. Das wird zu weiterer Demokratieverdrossenheit und Vertrauensverlust führen.

 

Interview: Harald Baumer

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