Der Nürnberger CSU-Abgeordnete Michael Frieser ist als Fraktionsjustiziar einer der besten Kenner des Wahlrechts. Wir fragten ihn zu den Konsequenzen des Karlsruher Urteils für Nürnberg – und was die Union macht, wenn sie die nächste Wahl gewinnt.
Ein voller Erfolg war das ja nicht gerade für Sie in Karlsruhe. Sie haben zwar Ihr Hauptziel erreicht – nämlich, dass die CSU nicht mehr komplett aus dem Bundestag fliegen könnte, selbst wenn sie fast alle bayerischen Wahlkreise gewonnen hat. Aber es wäre durchaus möglich, dass Ihre Partei bei der nächsten Wahl einige Direktmandate verliert, wenn sie bei den Zweitstimmen schlechter abschneidet als bei den Erststimmen.
Zunächst sollte man festhalten, dass Karlsruhe der Ampel heute erneut ein in Teilen verfassungswidriges Gesetz attestiert hat. Nach dem vernichtenden Haushaltsurteil im November letzten Jahres muss sich die Ampel wirklich selbst die Frage stellen, wie sie eigentlich zu unserer Verfassung steht. Das Gericht hat den Versuch der Ampel, ihre politischen Gegner auszuschalten – nicht nur die CSU, sondern auch die Linke, erfolgreich verhindert. Die sogenannte Grundmandatsklausel bleibt erhalten und sichert die Teilhabe von Parteien mit einer besonderen regionalen Verankerung. Wer mindestens drei Direktmandate erzielt, überwindet die Sperrklausel und zieht in den Bundestag ein.
„Regionale Verankerung“ ist ein gutes Stichwort. Die beiden Nürnberger Wahlkreise gelten neben denen in München als besonders gefährdet, weil dort die CSU-Ergebnisse schlechter sind als auf dem Lande. Müssen Sie und Ihr Kollege Sebastian Brehm nun um Ihre Mandate fürchten? Könnte Nürnberg ohne direkt gewählte Abgeordnete bleiben?
Dass mein Kollege und ich der Wahl 2025 entspannt entgegensehen, ist schon daran zu erkennen, dass wir uns bereits nominieren haben lassen. Wir sehen dem Wahltag gelassen entgegen und vertrauen darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger unsere Arbeit in den zurückliegenden Jahren anerkennen. Aber alleine die Tatsache, dass direkt gewählte Abgeordnete nicht im Bundestag vertreten sein könnten, wo auch immer, ist ausgesprochen bedauerlich. Karlsruhe billigt nun die Einführung eines reinen Verhältniswahlrechts und bricht damit mit der 75-jährigen Tradition in Deutschland. Mit dem heutigen Urteil erfahren die Direktwahlkreise eine erhebliche Entwertung. Ich halte das für eine echte Belastung für das ohnehin angekratzte Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie, der künftig nicht mehr erkennen kann, ob seine Stimme auch zählen wird.
Bewerten Sie das nicht über? Ist es den Bürgern letztlich nicht egal, ob ihr Abgeordneter direkt oder über die Liste in den Bundestag gekommen ist?
Nein, das denke ich nicht. Die Direktwahl ist ganz wichtig für den Austausch zwischen Bürgern und Abgeordnetem. Das bemerke ich ganz deutlich in meiner täglichen Arbeit, wo ich durchaus als der Vertreter des Wahlkreises wahrgenommen werde – auch von solchen Menschen, die mir gar nicht ihre Stimme gegeben haben. Nach der Entscheidung von Karlsruhe wird es leider zu verwaisten Wahlkreisen in Großstädten kommen. Ein Kandidat, hinter dem eine Mehrheit an Bürgern steht, zieht in Zukunft nicht mehr zwingend in den Deutschen Bundestag ein. Das müssen Sie erst mal den Wählerinnen und Wählern erklären.
Wird die Union die Reformen der Ampel wieder rückgängig machen, wenn sie die nächste Wahl gewinnen sollte? Die Chancen stehen ja aus derzeitiger Sicht gar nicht so schlecht, dass ein Vertreter von CDU oder CSU im Kanzleramt sitzt.
Selbstverständlich akzeptieren wir das Urteil des Gerichts. Die ausschließliche Zweitstimmendeckung halten wir jedoch politisch weiterhin für falsch. Der Bürger hat ein Recht auf eine direkte Vertretung durch einen direkt gewählten Abgeordneten. Dafür werden wir Sorge tragen und die Entwertung der Direktwahl durch die Ampel korrigieren. Diese Situation hat sich die Ampel selbst zuzuschreiben. Sie hatte es in der Hand gehabt, gemeinsam mit uns nach einer dauerhaften Lösung zu suchen, die die Demokratie nicht beschädigt. Die Ampel ist nun vor allem gefordert, den Widerspruch zwischen Grundmandatsklausel und Zweitstimmendeckung aufzulösen und so eine reibungslose Wahl 2025 zu ermöglichen.