NZ-Interview: „Merkel hat Deutschland in Europa isoliert“
NZ: Die CSU ringt seit Monaten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage. Geändert hat sich nichts. Waren das alles nur Drohgebärden von Seiten der CSU?
Michael Frieser: Im politischen Ringen sind Drohungen immer auch ein Element zur Kompromissfindung, wenn ich mit dem grundsätzlichen Kurs nicht übereinstimme. Ja, die CSU hat ganz bewusst auch der Kanzlerin gedroht, dass sich ihre Politik ändern muss, weil sie zum Scheitern führt, wenn man die Menschen in Deutschland, aber auch in Europa auf diesem Weg nicht mitnimmt. Die Wahlergebnisse vom Sonntag zeigen das deutlich. Und interessanterweise hat sich ja, obwohl die Bundeskanzlerin das Gegenteil behauptet, die Welt genauso verändert, wie das die CSU am Anfang vorhergesagt hat. Die Tatsache, dass in Bayern nur noch wenige Flüchtlinge ankommen, ist eine Folge davon, dass andere Länder nationale Grenzsicherungsmaßnahmen durchsetzen. Dafür darf ich diese Länder doch nicht auch noch kritisieren, wie die Bundeskanzlerin es tut. Sie hat Deutschland ein Stück weit in Europa isoliert.
NZ: Die Flüchtlingsfrage ist insgesamt sehr vertrackt und es scheint so zu sein, dass die EU von der Türkei abhängig ist. Auf welche Erpressungsmanöver von Seiten der Türkei wird das hinauslaufen?
Frieser: Die Verhandlungsposition mit der Türkei wäre besser, wenn die EU ihre Hausaufgaben gemacht hätte: Die Sicherung der Außengrenzen und die Einrichtung von Hotspots in Italien und Griechenland hätten vor Monaten kommen müssen. Deshalb sind wir erpressbar. Die Rolle der Türkei ist eine wichtige, darf aber auch nicht überbewertet werden.Für mich ist es seltsam, dass Europa versucht, fast die alleinige Verantwortung für diesen syrischen Konflikt zu übernehmen und die Türkei somit von ihrer Verpflichtung als Nachbarland zu entheben. Alle angrenzenden Länder haben Verpflichtung und Mitverantwortung, beispielsweise auch Saudi Arabien. Die Türkei will aber vorrangig ihr Verhältnis zu den Kurden klären. Ich sehe deshalb nach wie vor keine Mitgliedschaft der Türkei in der EU. Für mich ist auch die Frage der Visumfreiheit mehr als problematisch, weil die Türkei überhaupt nichts anbieten kann, was man hierfür bräuchte. So lange die Personen nicht alle erfasst werden, wissen wir und die Türkei nicht, wer dort eigentlich Staatsbürger ist.
NZ: Die CSU war ja immer gegen die Aufnahme der Türkei in die EU. Wird die Integration nicht zwangsläufig kommen, weil die Türkei am längeren Hebel sitzt?
Frieser: Wenn ich mir die Entwicklung und das Verhalten vor allem der neuen Beitrittsländer in der EU anschaue, dann wird und kann es in absehbarer Zeit keinen Beitritt der Türkei zur EU geben. Das liegt nicht allein an der deutschen Haltung. Ich sehe nicht, dass es tatsächlich auch nur ansatzweise eine Mehrheit in Europa gibt, die Türkei Mitglied werden zu lassen. Es muss jetzt eine nachhaltige Vereinbarung von der EU und der Türkei auch zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit geben, die uns nicht alle vier Wochen an den Verhandlungstisch zwingt. Sonst sagt die Türkei bei jeder neuen Runde: „Jetzt schlagen wir erst das nächste Kapitel unseres Beitritts auf, und dann kümmern wir uns um die Flüchtlinge.“
NZ: Wird sich die EU nach der Flüchtlingskrise nicht komplett verändern müssen?
Frieser: Ja, ich bin der Meinung, dass sich die Grundlagen der Zusammenarbeit in der EU vollkommen verändert haben. Zu sagen, man nimmt überhaupt keine Muslime auf, um den eigenen Wohlstand nicht zu gefährden, das ist ein nationaler Egoismus, der mit den Grundlagen Europas überhaupt nichts mehr zu tun hat. Das Gleiche gilt für die Weigerung, sich in irgendeiner Art und Weise in die Pflicht nehmen zu lassen, wenn es um die Lastenverteilung geht. Die EU ist derzeit eine reine Wirtschaftsunion. Dort, wo man sich einen Vorteil für den eigenen Wohlstand verschaffen kann und das eigene Weiterkommen absichert, dort ist man dabei. Wenn es aber um die Lasten geht, nicht mehr. Das ist die brutale Wahrheit. Es zeigt sich, dass wir von einer Wertegemeinschaft noch nie so weit weg waren wie im Augenblick.
NZ: Welche Konsequenzen hat das dann für die Politik?
Frieser: Wir müssen die deutschen Interessen neu definieren. Unbestreitbar ist, dass das zusammenwachsende Europa, der gemeinsame Wirtschaftsraum und das Einführen einer gemeinsamen Währung innerhalb der Eurozone die Rahmenbedingungen sind, die Deutschland zum wirtschaftlichen Erfolg geführt haben. Die Deutschen waren aber auch bereit, Einschnitte vorzunehmen. Man muss alles tun, dass dieser Wirtschaftsraum leistungsfähig bleibt. Der wirtschaftliche Aspekt darf aber nicht überlagert werden von Forderungen an Länder, die diese gar nicht erfüllen können oder wollen. Wir haben natürlich als größte europäische Nation eine Führungsrolle, die sich von uns niemand ausgesucht hat, die Bundeskanzlerin als Allerletzte. Aber jetzt ist es so, dass die deutsche Regierung mit ihrer Flüchtlingspolitik drauf und dran ist, Europa eher auseinanderzutreiben als es zusammenzuführen. Die Haltung der Bundeskanzlerin führt Europa nicht zu einer gemeinsam getragenen Politik zurück.
NZ: Wie könnte die Neuausrichtung Europas aussehen? Welche Ziele müssten neu definiert werden?
Frieser: Die Realität ändert auch die deutsche Politik nachhaltig. Wir müssen das machen, was wir in den 90er Jahren eigentlich hätten machen müssen: Die Außengrenzen tatsächlich zu echten Grenzen zu machen. Das muss die Europäische Union nachholen. Es war natürlich illusorisch zu glauben, dass die Strukturhilfe, die wir damals an Griechenland und an Italien verteilt haben, für sichere Außengrenzen reicht. Eine ordentliche Grenzsicherung und die geschlossene Balkanroute sind auch Signale an die Flüchtlinge, damit sie sich gar nicht mehr auf den Weg machen, und an die Schleuserbanden, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Wir müssen auch den Ländern im Nahen Osten, die Lasten in der Flüchtlingsfrage erleichtern und ihnen helfen. Die Europäische Union muss sich auf dem afrikanischen Kontinent engagieren, damit nicht noch mehr Flüchtlinge nach Europa kommen. Wir brauchen eine gemeinsame europäische Entwicklungspolitik. Es macht wenig Sinn, davon zu fabulieren, dass wir eine irrsinnig tolle Wertegemeinschaft wären. Das ist nicht der Fall. Es bleiben einzelne souveräne Nationalstaaten, die nur dann bereit sind, in irgendeiner Art und Weise Souveränität abzugeben, wenn sie glauben, dass sie davon wirklich etwas haben. Das sind meines Erachtens die Spielregeln der Zukunft.
NZ: Europa wird ja derzeit nicht nur über die Flüchtlinge wahrgenommen, sondern natürlich auch über die Europäische Zentralbank. Wird es nicht demnächst einen Aufstand geben, wenn die Bevölkerung erkennt, wie ihre Altersversorgung angesichts der Null-Zins-Politik immer niedriger und die Vorsorge immer schwieriger wird?
Frieser: Die Europäische Zentralbank und insbesondere Herr Draghi lässt ganz bewusst den kleinen Sparer, den Bürger in Europa, die große Zeche zahlen. Über die Brücke „unbegrenzten Anleiheankauf“ haben wir faktisch die Schulden von anderen Ländern übernommen. Zufälligerweise ist der Chef der Europäischen Zentralbank Italiener, zufälligerweise haben die Italiener auch den größten Gewinn aus dieser Politik. Das werden in den nächsten Jahren bis zu 700 Milliarden Euro sein. Herr Draghi schraubt die Zinsen auf Dauer so weit runter, dass man das Geld der Menschen tatsächlich kaputt macht, obwohl dieses Instrument gezeigt hat, dass es nicht funktioniert. Die Wirkung ist verhängnisvoll: Sowohl mit Spareinlagen als auch mit Lebensversicherungen gibt es keine Möglichkeit mehr, in irgendeiner Art und Weise mit dem Ersparten eine klassische Altersvorsorge oder einen Zinsertrag zu erwirtschaften. Die Mehrheit der Südeuropäer missbraucht ihre Stimmenmehrheit in der EZB dafür, ihre eigenen nationalen Haushalte zu sanieren. Deutschland ist gut beraten, sich jetzt endlich auf die Hinterfüße zu stellen. Trotz der Unabhängigkeit der EZB muss man dieser Zins- und Anleihepolitik für einen stabilen Euro Einhalt gebieten.
NZ: Gibt es denn schon Anzeichen einer Änderung der deutschen Politik?
Frieser: Der Erfolg der deutschen Wirtschaft ist auch auf die gemeinsame stabile Währung zurückzuführen. Deshalb muss man auch vorsichtig sein, dass man das Erreichte nicht zerstört. Deutschland muss aber versuchen, Einfluss auf die EZB zu nehmen. Wir haben aber nur, wie Malta auch, eine Stimme im EZB-Rat. Sind das die richtigen Rahmenbedingungen? Die deutsche Politik wird nicht darum herumkommen, endlich einmal Stellung zu beziehen. Auch das Verhalten der EZB-Führung ist am Ende gerichtlich überprüfbar.
NZ: Haben Sie als Bundestagsabgeordneter und damit Teil einer Regierungspartei das Gefühl, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel weiß, wo sie hin will?
Frieser: Ich empfinde die Politik von Angela Merkel als zu pragmatisch, und sie fährt lediglich auf Sicht. Ich sehe auch nicht, dass sie getragen ist von einer wirklichen Vision davon, wie Deutschland wirklich aussehen soll. Sie bewegt sich sehr in naturwissenschaftlichen Grenzen. Sie hängt nicht an Europa, sie weiß nur, dass es für Deutschland wirtschaftlich gut war und deshalb will sie es erhalten. Das wollen wir alle. Aber eine tatsächliche Vision von Deutschland in einem von Werten getragenen Europa vermittelt sie derzeit nicht.
Fragen: André Fischer
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