Populisten brauchen die Krise
Nürnberg – Die Veröffentlichung des sogenannten „Ibiza-Videos“ und die damit zutage getretene Demokratieverachtung des Vizekanzlers hat die schwarz-blaue Regierungskoalition in Österreich mit erstaunlicher Geschwindigkeit zusammenbrechen lassen. Die Ursachen für das Scheitern aber liegen tiefer.
Die traditionellen Volksparteien in Europa stehen unter Druck. Unterschiedliche soziale Milieus, Generationen und Weltanschauungen in einer Partei zu vereinen, ist unter veränderten Rahmenbedingungen schwieriger geworden. Dennoch haben Volksparteien den Anspruch, Meinungen und Menschen auch in Zukunft zusammenzuführen. Sie müssen als Plattform für ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzungen Antwort sein auf die zunehmende Lust am Missverständnis und Debattenverbote. Das vielbeschworene „Ende der Volksparteien“ wird nur dann Wirklichkeit, wenn sie es verpassen sich neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Das Ziel – den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren – rechtfertigt die Bemühungen allemal.
Die scharfe Rhetorik rechtspopulistischer Parteien gegenüber den „Altparteien“ ist kein Zufall. Populismus verkörpert das Gegenstück zum integrativen Anspruch traditioneller Parteien. Seine zentrale Strategie ist die gesellschaftliche Spaltung. Mit Hass und Ressentiments zeichnen Populisten das Bild einer Gesellschaft, die gespalten ist zwischen „Volk“ und „Eliten“, zwischen „uns“ und „ihnen“. Sie verkaufen sich als einzig wahrer Vertreter eines „Volkswillens“, der keinen Diskurs braucht, sondern als solcher feststeht. Wer abweichende Meinungen vertritt, wird delegitimiert, verächtlich gemacht, beschimpft.
Besonders anfällig für Konflikte und Spaltung sind Gesellschaften in Krisenzeiten. Populisten brauchen die Krise wie die Luft zum Atmen. Quer durch Europa lässt sich beobachten, dass Populisten tatsächliche Missstände aufbauschen, die Lage schlecht reden, Angst machen, den Ausnahmezustand herbeireden oder gleich den gesellschaftlichen Untergang prophezeien.
Die Stabilität der deutschen Demokratie fußt auf den Funktionen der Parteien. Sie sind daran beteiligt, Politik zu formulieren, implementieren und kontrollieren. All das funktioniert nur, wenn die Parteien konstruktiv gestalten wollen und Verantwortung für den Staat übernehmen, ob in Regierung oder Opposition. Rechtspopulisten sind weder auf der einen noch auf der anderen Seite an konstruktiver Arbeit interessiert. Spätestens in der Rolle als Regierungspartei zeigt sich dann aber, dass sie scheitern an dem Widerspruch zwischen eigener Regierungsbeteiligung und dem Motiv, das politische Gegenüber als „Systemparteien“ zu diffamieren. Auswege werden gesucht, indem die Spaltung noch aggressiver betrieben wird und der Hass auf den Koalitionspartner oder die Europäische Union projiziert wird.
Wo Volksparteien einen wollen, wollen Populisten spalten. Wo Volksparteien gestalten wollen, wollen Populisten die Krise herbeireden. Volksparteien müssen gerade auch kritische Stimmungen in der Bevölkerung wahrnehmen, aufgreifen, diskutieren und politisch wirksam werden lassen. Zugleich müssen sie sich klar von der Hass-, Spaltungs- und Krisenrhetorik der Populisten abgrenzen und dürfen sich nicht verleiten lassen, sich in einer Regierung mit diesen gemeinzumachen.
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